Walter ist schuld! Der gemütliche Oberallgäuer, den wir bereits zwei Mal trafen und mit dem wir guten Kontakt pflegen, schickte uns ein Bild von einer beeindruckend tiefen Schlucht samt Nahaufnahme eines Kondors. Also machten wir uns im Reiseführer schlau und sogleich auf den Weg, denn der Cañon del Colca wird als eine der attraktivsten Natursehenswürdigkeiten Perus angesehen und liegt relativ günstig nahe an unserer geplanten Route.
Die Colca-Schlucht soll noch tiefer und gewaltiger als der Grand Canyon in den USA sein, die größere Tiefe ergibt sich aber nur durch die Messung vom Vulkan Señal Ajirhua, dessen Hänge direkt in die Schlucht abfallen. Die ältesten Spuren menschlicher Besiedlung in dieser Gegend gehen auf die Collagua-Kultur zurück, das war um Christi Geburt herum. Die in Terrassen angelegten Felder gehen auf die Inka zurück, die den fruchtbaren Boden nutzbar machten. Zur Hinterlassenschaft der Spanier gehören neben den Schachbrettmustern der Orte und der Existenz der Dorfkirchen vor allem von Krankheiten dezimierte Ureinwohner. So geriet das Tal um die Staatsgründung Perus herum in Vergessenheit. Erst 1931 wurde die Schlucht von den Forschern Shippee und Johnson in einer Expedition erkundet und bei dieser Gelegenheit zur tiefsten Schlucht der Welt deklariert (mittlerweile hat man eine noch tiefere gefunden, auch in Peru). 1975 gab es dann endlich eine Schotterpiste am südlichen Rand des Colca, die seit kurzem auch asphaltiert ist.
Um überhaupt an den Anfang der Schlucht zu gelangen, haben wir mit Hägar unseren derzeitigen Höhenrekord aufgestellt. Die Straße führte uns über den Paso Abra Patapampa (4910 m), von dem man eine wundervolle Aussicht auf etliche Vulkane hat. Der unruhige Volcán Sabancaya (5980 m) sorgte für die einzigen Wolken am Himmel, vielleicht zu unserer Begrüßung.
Vier Tage haben wir den Nationalpark Colca-Schlucht für uns entdeckt, haben die unglaubliche Landschaft durchfahren und durchwandert. Dabei können die Bilder die Dimension des Canyons kaum einfangen, wenn sich vor dem Betrachter ein anderthalb Kilometer tiefer Abgrund auftut.
Die steilen Felswände bieten dem Anden-Kondor eine ideale Heimstatt. Die hier herrschenden Aufwinde benötigt er, um überhaupt seinen Horst verlassen zu können. Der größte flugfähige Vogel mit einer Spannweite von bis zu 3,20 m kann durchaus 70 Jahre alt werden. Fast wie auf Bestellung fliegt uns ein Prachtexemplar vor die Linse und dreht ein paar Ehrenrunden, bevor er von einem stattlichen Adler abgelöst wird. Der ebenfalls in dieser Gegend vorkommende Riesenkolibri zeigt sich im Kakteenwald, aber bevor wir die Kamera in Stellung gebracht haben, ist er schon wieder über alle Berge. Aber ein uns unbekannter, grüner Sittich hält lange genug still.
Wenn wir an all diese Erlebnisse denken, können wir Walter mehr als dankbar sein. Sicherlich werden wir mit ihm in Cusco ein Bierchen zischen, die Verabredung steht bereits fest!
PS: Der Titel dieses Beitrags ist auch ein bekanntes Lied aus der Andenregion, es bedeutet übersetzt „Der Kondor fliegt vorbei“.