Nach drei Monaten, die wir ausnahmslos in Chile verbracht haben war die Freude auf das andine Nachbarland richtig groß. Zwar hat Chile eine unglaubliche Vielfalt an Landschaften und Klimazonen zu bieten, aber darüber hinaus ist es sehr modern und quasi zivilisiert. Uns fasziniert aber vor allem das Ursprüngliche, das nun in Bolivien wieder greifbar geworden ist. Schlagartig fühlten wir uns angekommen und irgendwie vertraut mit den freundlichen Menschen und der Faszination, die von der überwiegend indigenen Bevölkerung ausgeht.
In Bolivien leben statistisch gesehen 10 Menschen auf einem Quadratkilometer, also deutlich weniger als in Deutschland – dort sind es 230. Das konnten wir auf der 200 Kilometer langen Strecke bis nach Oruro, einer der neun Provinzhauptstädte, gerne glauben. Die frisch betonierte Piste gehörte uns fast allein und die wenigen Hütten in den Weiten der Hochebene waren fast ausnahmslos verlassen.
Doch in Oruro änderte sich alles schlagartig. Die Stadt war angefüllt von buntem Gewimmel, Markttreiben, Verkehrschaos und allen damit verbundenen Geräuschen und Gerüchen. An jeder Ecke gab es etwas zu essen, von vertraut bis undefinierbar war alles dabei. Dazwischen priesen die Straßenhändler ihre Waren an, auch da gab es nichts, was es nicht gab: Früchte, Gemüse, Schuhe, Hosen, Brillen, Schlüpfer, Klopapier, Hüte, Süßigkeiten, Brot, Kuchen, Fleisch, Würste, Hundefutter, Zahnbürsten, Plastikschüsseln… In einer der zentralen Markthallen sortiert sich alles übersichtlich nach Sorten. Eine Reihe Brot, eine Reihe Nudeln, zwei Reihen Fleisch, eine Reihe Fisch, eine mit Coca und dann noch alle möglichen Haushaltsgegenstände. Das Märchen mit der Kühlkette kennt man hier nicht und außerdem werden wir ob unserer Kleinmengen, die wir kaufen, nur belächelt.
Gut dass wir uns vorher so gut akklimatisiert haben, denn wir verbringen in Oruro zwei Tage auf 3700 Metern. Wir lassen uns in der Menge treiben und bekommen gar nicht genug vom Marktgewimmel. Manchmal können wir gar nicht glauben, dass die Mengen an Obst und Gemüse oder eben Coca überhaupt ihren Abnehmer finden. Wir sind das Highlight des Tages, als wir zögernd eine Handvoll Coca kaufen für einen Tee, der in der Höhe durchaus helfen soll.
Apropos Coca: Die getrockneten Blätter werden vor allem gekaut, die Konsumenten erkennt man an den dicken Backen, in denen die zerkaute Cocamatschepampe behalten wird. Immerhin konsumieren die Bolivianos im Durchschnitt 1200 Tonnen Cocablätter im Monat. Diese Menge veranlasste den bolivianischen Präsidenten, es in der Verfassung zu einem wesentlichen Bestandteil der bolivianischen Tradition zu erklären. Darin ist die über den traditionellen Eigenbedarf hinausgehende Weiterverarbeitung allerdings nicht eingeschlossen.
Von Oruro führte uns unsere Route weiter gen Nordosten über traumhafte Bergregionen und Hochebenen. Die Straße, blitzeblank asphaltiert und kurz vor der Fertigstellung, schraubte sich locker mal auf über 4100 Meter hinauf. Die Panoramen und tiefen Täler ließen unsere Bergfreunde- und Fotografenherzen höher schlagen. Bemerkenswert dabei die an den Berghängen liegenden für die Gegend typischen Hochfelder, die bedingt durch ihre Steilhanglage nur noch zu Fuß erreichbar sein dürften. Wir nehmen an, dass die Produkte voll Bio sind, denn wer schleppt schon Pestizide auf den Berg? In den Tälern bewundern wir die Bewässerungssysteme der in Terrassen angelegten Felder, auf denen die Früchte für die großen Märkte gedeihen. Uns erwärmt die Freundlichkeit und das Entgegenkommen der einfachen Landbevölkerung, die, obwohl sie abends müde vom Feld kommen, sich die Zeit für ein Schwätzchen nehmen. Unsere mittlerweile guten Kenntnisse des Spanischen helfen uns allerdings nicht immer, denn wir treffen auch auf Indigenas, die nur Quechua sprechen.
Am liebsten würden wir euch viel mehr Szenen des bunten Treibens zeigen, aber wir müssen akzeptieren, dass die Einheimischen misstrauisch gegenüber der Kamera sind. Vor allem die Indigenas lehnen es ab, fotografiert zu werden, denn nach ihrem Glauben nimmt ihnen jedes Foto ein Stück ihrer Seele.
Heute sind wir in Cochabamba angekommen und haben nach unglaublichem Verkehrsgewühl eine Oase gefunden, in der wir in unserem Hägar einige Tage verbringen werden. Inmitten eines ruhigen Stadtviertels hat ein geschäftstüchtiger Boliviani eine wahre Perle eines Hostals geschaffen, das auch Parkplätze für Wohnmobilreisende bietet. Hier werden wir ein milderes, fast mediterranes Klima auf „nur“ 2500 Metern Höhe genießen und uns von den Ausflügen in die historische Altstadt erholen.